Dr. Monika Wild
Lungenfachärztin in Wien

Wozu braucht man einen Lungenfacharzt bei einer neurologischen Erkrankung? Wie funktioniert unsere Atmung?

Welche Organe brauchen wir zur Atmung?
Zu aller erst die Lunge – unser größtes Organ. (Breiten wir sie voll aus, bedeckt sie die Fläche eines Fußballfeldes.)

In der Lunge findet der lebensnotwendige Gasaustausch statt, Sauerstoff (O2) wird aufgenommen und ins Blut abgegeben, Kohlendioxid (CO2), als Abbauprodukt der Stoffwechselvorgänge im Körper, abgeatmet.

Die Steuerung der Lunge erfolgt, wie für alle Organe, über ein spezielles Zentrum im Gehirn, wobei die Lunge selbst mit einem Blasebalg vergleichbar ist. Ein Blasebalg muss aktiv erweitert und verkleinert werden, damit Luft bewegt wird. Das „Auf- und Zumachen“ der Lunge geschieht über die Atemmuskulatur. Und hier liegt auch die Schnittstelle zwischen dem Neurologen und dem Lungenfacharzt.

Die Atemmuskulatur wird über Nervenbahnen vom Gehirn gesteuert. Sie erweitert den Brustkorb – die Lunge wird gedehnt – Luft strömt ein. Die Atemmuskulatur zieht sich zusammen – das Volumen im Brustkorb wird kleiner – Luft strömt aus, und so weiter.

Kommt es nun zu einer Schädigung der Nerven, kann die Atemmuskulatur vom Gehirn nur mehr eingeschränkt gesteuert werden. Das Lungenvolumen (die Vitalkapazität) wird langsam kleiner.

Welche Untersuchungsmethoden stehen dem Lungenfacharzt zur Verfügung?

1. Die Lungenfunktion:
Ein Atemtest, bei dem indirekt über die Lungenkapazität (das Volumen, das maximal eingeatmet werden kann) eine Aussage über die Dehnbarkeit der Lunge gemacht werden kann.

2. Die Atemmuskelfunktion:
Ebenfalls ein Atemtest, der Aufschluss über die Kraft der Atemmuskulatur und damit über ihre momentane Funktionsfähigkeit gibt.

3. Die Blutgasanalyse:
Für diese Untersuchung braucht man wenige Tropfen Blut aus dem Ohrläppchen. Ein spezielles Gerät ermittelt aus dieser Blutprobe in wenigen Minuten den Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalt. Diese beiden Werte zeigen, wie gut der Gasaustausch in der Lunge funktioniert und sind damit wichtige Parameter für den Verlauf der Erkrankung.

4. Die Speicherpulsoxymetrie während der Nacht:
Bei dieser Methode wird über einen Fingerklipps die Sauerstoffsättigung und die Pulsfrequenz gemessen undbis zu 12 Stunden gespeichert. Mit Hilfe eines speziellen Computerprogrammes werden die gespeicherten Daten ausgewertet. Diese Untersuchung gibt Aufschluss über die Funktion der Atemmuskulatur während dem Schlaf.

Da es sich bei der ALS um eine fortschreitende Erkrankung handelt müssen die Untersuchungen beim Lungenfacharzt ca. alle 4-6 Wochen durchgeführt werden, um notwendig werdende Therapien rechtzeitig zu planen und zu besprechen.

Eine dieser möglichen Therapien ist die sehr hilfreiche nichtinvasive Beatmung, für deren Einsatz der richtige Zeitpunkt sorgfältig gewählt werden muss.

Zu einem großen Problem kann auch die Speichelbildung im Mund werden. Es wird bei der ALS nicht, wie oft fälschlich behauptet wird, mehr Speichel gebildet, sondern es kann immer weniger Speichel geschluckt werden. Dadurch sammeln sich große Mengen in der Mundhöhle an. Zusätzlich gelangen immer wieder kleine Mengen in die Luftröhre und lösen dort massiven Hustenreiz aus. Zum Abhusten des Schleims ist eine kräftige Atemmuskulatur erforderlich, die jedoch fehlt. Für diese Probleme kann man teils mit Medikamenten, teils mit Geräten (z.B. Hustenassistent, Absauggerät) entsprechende Hilfestellungen anbieten.

ALS ist somit eine neurologische Erkrankung mit weitreichenden Auswirkungen auf die Atmung und den Atmungstrakt. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist daher bei der Betreuung der Patienten von großer Bedeutung.

Beatmung bei ALS

Für die Beatmung zu Hause gibt es seit einigen Jahren zwei Möglichkeiten:

1.) die nicht - invasive Beatmungsform
2.) die invasive Beatmungsform

ad 1.) Die nicht-invasive Beatmung geschieht über eine Nasen- oder Nasen – Mundmaske die, je nach der individuellen Gesichtsform ausgewählt wird (Form der Nase, des Kinn etc). An eine nicht-invasive Beatmung ist zu denken, wenn sich Symptome wie morgendlicher Kopfschmerz, zunehmende Tagesmüdigkeit mit daraus resultierender Leistungsminderung, Appetitlosigkeit und Antriebsschwäche häufen. Ursache für diese Beschwerden kann ein chronischer Sauerstoffmangel während der Nacht sein. Nachweisen kann man solch einen Sauerstoffmangel mit einem einfachen Gerät, genannt Speicherpulsoxymetrie, das während einer Nacht an einem Finger befestigt wird. Mit Hilfe eines Computerpogrammes wird die nächtliche Messung analysiert und als Kurve dargestellt. Ist eine Beatmung indiziert, verbessern sich die oben genannten Symptome schon nach einigen Nächten mit Beatmung. Das Leben, durch die Grunderkrankung bereits deutlich erschwert, wird wieder lebenswerter. Daher wird die nicht invasive Beatmung auch international empfohlen.

Der Vorteil dieser Beatmungsform ist, dass die Entscheidungsfähigkeit des Patienten für oder gegen die Beatmung jederzeit möglich ist und gewahrt bleibt.

Der Nachteil liegt in der Maske selbst. Um undichte Stellen zu vermeiden, muß die Maske relativ fest mit elastischen Gurten am Kopf befestigt werden. Das führt oft zu Druckstellen und geringen Hautläsionen. Entweicht während der Beatmung trotzdem ein wenig Luft kann es zu leichten Augenentzündungen kommen. Da auch immerwieder mehr oder weniger große Mengen Luft während der Beatmung geschluckt werden sind Völlegefühl und Blähungen möglich.

ad 2.): Bei der invasiven Beatmung ist ein Luftröhrenschnitt und das Einführen eines Tubus in die Luftröhre erforderlich, die Atmung kann vollständig von einer Beatmungsmaschine übernommen werden. Damit kann die Atmung auch im weit fortgeschrittenem Stadium der Erkrankung, das heißt bei vollständiger Lähmung des gesamten Körpers, aufrecht erhalten werden.

Der Nachteil dieser Beatmungsform: das Abschalten des Gerätes, auch auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten ist nach der derzeitigen Gesetzeslage in Österreich nicht möglich. Zusätzlich bedeutet diese Therapieform einen hohen pflegerischen und finanziellen Aufwand. Es muß eine 24-Stunden Betreuung, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr gewährleistet sein, das heißt mehrere, gut ausgebildete Personen sind erforderlich, auf die man sich 110% verlassen können muß. Aufgrund all dieser Tatsachen, und der derzeit fehlenden medizinischen Möglichkeit die Erkrankung in ihrem Verlauf zu verlangsamen oder zu stoppen wird diese Beatmungsform international und so auch von uns nicht empfohlen. Die Entscheidung für eine invasive Beatmung liegt aber letztendlich beim Patienten selbst und wird nach persönlicher ausführlicher Beratung, auf ausdrücklichem Wunsch des Patienten auch durchgeführt. Wenn nach ausführlicher Information eine invasive Beatmung von Seiten des Patienten auf keinen Fall gewünscht wird, ist eine schriftliche Patientenverfügung erforderlich.