Thema: Alternative Behandlungsmethoden bei ALS

In einem einleitenden Vortrag ging DI Dr. H. Lahrmann zuerst auf die möglichen Bedeutungen des Wortes „alternativ“ im Zusammenhang mit Therapien ein. Synonyme wie „Komplementärmedizin“, „Naturheilkunde“, „Ganzheitsmedizin“ werden oft abwechselnd verwendet und weder klar definiert noch gegeneinander abgegrenzt. Die dadurch entstehende Grauzone und Unschärfe kann zu Missverständnissen, Fehleinschätzungen und, damit verbunden, zu falschen Hoffnungen führen.

Zweifellos haben „alternative“, das heisst in diesem Zusammenhang von der sogenannten Schulmedizin abgegrenzte Behandlungsmethoden ihren Stellenwert. Wichtig ist jedoch genau wie in der Schulmedizin die Diagnose zu beachten und die Indikation zur Behandlung korrekt zu stellen (Beispiel Unwirksamkeit von Akupunktur bei ALS). Trotz einer Vielzahl v.a. im Internet diskutierter und angebotener, alternativer Behandlungen bei ALS, gibt es zu diesem Thema kaum seriöse Untersuchungen. Professor Borasio aus München und Mitarbeiter haben 2001 an 171 ALS-Patienten die Verwendung alternativer Therapien untersucht. Die am Häufigsten genannten waren: Akupunktur (47%), Homeopathie (40%), Naturopathie (24%) und esoterische Methoden (20%). Daneben wurden viele andere Therapien angeführt, wobei die verschiedenen Nahrungsergänzungen (Vitamine, Pflanzenextrakte, Teemischungen, Mineralien, etc.) häufig in Kombination und auch gemeinsam mit anderen Therapien angewandt wurden. Generell scheinen Patienten, die sich mit alternativen Therapien beschäftigen, eher für die unterschiedlichsten Formen derselben aufgeschlossen zu sein.

Was sind mögliche Ursachen für die Verwendung alternativer Therapien?

  • Verzweiflung über und an der Machtlosigkeit der Medizin („Mein Neurologe sagt es hilft eh´nichts!“).
  • Individuelle Krankheitsmodelle und Bewältigungsstrategien: Religion, Weltbild, Familie, Auseinadersetzung mit Krankheit,...
  • Druck von Angehörigen und Freunden („Das musst du unbeding nehmen, das hat schon Herrn XY geholfen.“)
  • Buntes Angebot in Medien, Internet (z.B. entsprechende Foren, Seiten von kommerziellen Anbietern, auch Ärzte und sog. Institute). Im Englischen gibt es die Bezeichnung „Cyberquacks“ dafür.
  • Generell negative Einstellung zur Schulmedizin
  • Positive Erfahrungen mit alternativen Behandlungsmethoden
  • Ärzte, die in ihrer Hilflosigkeit auf Alternativmedizin zurückgreifen, um wenigstens irgendetwas anbieten zu können („Nutzt´s nix, schad´s nix“).

Ein kurze, unvollständige Auflistung alternativer Behandlungsmethoden, welche teilweise auch von anwesenden ALS-Patienten ausprobiert wurden: Zelltherapie, Chelat-Therapie, Ozon-Th., Eigenblut, Eigenharn, Magnetfeldanwendungen, Bach-Blüten, Bioresonnanz, Homöopathie, Phytotherapie, traditionelle chinesische Medizin (TCM), Akkupunktur, Ausleitung von Giftstoffen (z.B. Amalgamentferung), spezielle Diäten. Für alle angeführten Verfahren gibt es keine nachgewiesene, positive Wirkung auf ALS und alle Patienten berichteten, dass sie keine anhaltende Besserung verspürt haben.

Grundsätzlich muss zwischen der Anwendung alternativer Behandlungsmethoden und „falscher“, dh. nicht den medizinischen Indikationen entsprechenden schulmedizinischenVerfahren unterschieden werden. Insbesondere die letztgenannten Behandlungen bergen ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotential für den Patienten.

Über folgende Behandlungsmethoden bei ALS wurde im Weiteren diskutiert:

  1. Omega-3 Fettsäuren (z.B. Fischöl-Kapseln): Es existieren keine wissenschaftliche Studien für ALS-Patienten. In einem SOD1-Mausmodell zeigte sich jedoch eine schnellere Zunahme der Lähmungen unter hochdosierte Omega-3 Gabe. Untersuchungen bei Patienten mit Prostata-Krebs weisen auf eine eventuell krebsfördernde Wirkung hin, wohingegen in einer Studie bei Alzheimer-Patienten ein langsameres Fortschreiten des kognitiven Abbaus behauptet wird.
  2. Vitamin E: hochdosiertes Vit E (z.B. 5g tgl.) zeigte in einer Studie 2004 keinen positiven Effekt.
  3. Selen: Die Bedeutung von Selen im Körper ist weitgehend unbekannt, eine therapeutische Wirkung nicht belegt und es gibt keine Empfehlungen für die Dosierung. Die Bestimmung von Selen im Blut wird manchmal durchgeführt, bringt aber keine verwertbare Information.
  4. Homöopathie: Es existiert kein Nachweis einer positiven Wirkung bei ALS.
  5. Stammzellen: Es gibt verschiedene Formen der Stammzellentherapie (adulte Stammzellen, embryonale Stammzellen,...). Deren Anwendung bei ALS wurde vor Jahren intensiv wissenschaftlich untersucht. Bisher gibt es keinerlei Hinweise auf eine positive Wirkung von Stammzellen auf den Verlauf von ALS. Auch bez. Zuführungsform (in die Rückenmarksflüssigkeit, ins Gehirn, ins Blut, etc. ) gibt es keine gültigen Empfehlungen. Aufgrund derRisiko- und Kostenfaktoren muss von einer Stammzelltherapie bei ALS derzeit abgeraten werden.
  6. „Ausleitung“ von Aluminium, Quecksilber, etc.: Es existiert kein seriöser Nachweis, dass diverse, zur sog. „Ausleitung“ vorgeschlagenen Substanzen einen Zusammenhang mit der Entstehung bzw. verlauf von ALS haben. Auch der Effekt und die Wirksamkeit einer „Ausleitung“ sind völlig unbewiesen. Von Entfernung aller Amalgam-Einlagen in den Zähnen, bzw. Entfernung aller Zähne kann nur dringend abgeraten werden.

Zusammenfassung: In der Diskussion zeigte sich, dass viele Patienten Erfahrungen mit „alternativen Behandlungsmethoden“ gemacht haben. Von einer anhaltenden positiven Wirkung wurde nicht berichtet und es gibt in der seriösen, medizinischen Literatur auch keine Berichte bzw. Studienergebnisse, die eine Anwendung alternativer Behandlungsmethoden bei ALS sinnvoll erscheinen lassen. In Einzelfällen und zur Behandlung spezifischer Beschwerden bei ALS können alternative Therapieansätze nach Rücksprache mit dem behandelnden Neurologen durchaus probiert werden (z.B. Phythotherapie bei Husten, Schleimproblemen, Schlaf). In jedem Fall sollten Risiken und Kosten unbedingt berücksichtigt werden.

Immer gilt: dubiose Angebote kritisch hinterfragen und dem gesunden Menschenverstand vertrauen („Wie soll denn das funktionieren?“).